„Wie geht es ihm mit der Situation?“
„Mit der Freundin?“
„Davon weiß ich nichts. Ne, mit dem Geschäft – mit dem Catering?“
Die Antwort erfuhren Madame und ich nicht. Denn, so das Gesetz der beiläufigen Diskussion im Bad vorbeischwimmender – niemals bekommen wir vollständige Geschichten. Bestenfalls Ansatzpunkte, um daraus Geschichten zu spinnen.
Bis zur nächsten Bahn hatten die Damen bereits das Thema gewechselt. Wir werden nie sicher erfahren, was mit ihm, seiner Freundin und dem Catering ist.
Ist „er“ vielleicht Caterer für den Kitesurf-Zirkus in Sankt Peter? Reist er von Sankt Peter-Ording nach Sylt nach Teneriffa nach Hawaii? Und jetzt nach Corona nicht mehr? Ist er aus Lockdown-Langweile mit einer Freundin zusammengekommen, die sonst mit einer amerikanischen Kitesurferin? Und jetzt trafen sich die Freundin und ihre Kitesurferin wieder? Und Drama, Baby?
Oder bewirtet er das örtliche Preisboßeln der Gemeinschaft der Schafzüchter? Trägt er dazu einen repräsentativen Lammfellmantel? Stammt die Freundin aus einer Schafzüchterdynastie. Ihre Eltern wollen nicht, dass sie mit einem schnöden Gastronom upp’n Schwutsch geit?
Wir hatten Zeit zum Denken. Denn wir hingen im Außenbecken der Dünentherme Sankt Peter-Ording. Die Möwen kreisten über uns, See- und Salzwiesenduft wehte über das Dünengras hinüber. Der November hatte uns ein sonniges Wochenende gebracht. Tagesausflügler aus der Metropolregion Hamburg flanierten die Seebrücke entlang über die Dünenlandschaft bis zum Meer. Nur wenige Meter entfernt und doch nicht zu sehen.
Wir hatten uns vom Schwimmbecken über das Innen-Spaß-Becken bis zum Außen-Abhänge-Becken vorgearbeitet. Und wäre es nicht irgendwann kalt geworden, wir wären über Wochen im Becken geblieben.
Dünentherme
Die Dünentherme liegt am Nordsee-Ende der Halbinsel Eiderstedt im südlichen Nordfriesland. Sankt Peter-Ording (SPO) ist der mondänste aller festländischen Ferienorte Schleswig-Holsteins. Es ist der Ort, an dem das Festland gerne Sylt wäre.
Das Bad liegt der Grenze des Ortsteils Bad an den Ortsteil Ording, am nördlichen Ende der Sankt-Peterer-Entertainmentmeile. SPO ist eine Gemeinde mit vielen Ortsteilen, Plätzen und Strandübergängen. Die Benennung eines „Zentrums“ in SPO ist nicht einfach – aber wenn ich an „die City“ denke, denke ich an diesen Platz.
Im Norden grenzt die Therme direkt an das geschützte FFH-Gebiet „Beim Meere“ – welches sich wieder durch sieben verschiedene Dünen-Lebensraumtypen auszeichnet:
- Weißdünen mit Strandhafer
- Graudünen mit krautiger Vegetation
- Küstendünen mit Krähenbeere
- Küstendünen mit Besenheide
- Dünen mit Salix repens ssp. argentea
- Bewaldete Küstendünen
- Feuchte Dünentäler
Davon sieht man im Bad nichts. Aber die Einbettung in die Landschaft ist im Außenbecken spürbar. Das Flair des ganzen Ortes flüstert mir permanent ins Ohr: „Küstendünen mit Besenheide.“ Die Küstenlandschaft um die Dünentherme herum ist hörbar und sie ist sogar riechbar.
Am heutigen Standort des Bades entstand Ende des 19. Jahrhunderts ein Hotel. Die Quellen widersprechen sich, welches genau und ob dies nun das Erste oder nur eines der ersten des Ortes war. Auf jeden Fall liegt hier, genau dort, wo die Dünentherme steht, seit 130 Jahren ein Hotspot des SPO-Tourismus. Ebenso wird nahe des Dünenthermen-Standorts seit 1957 die Schwefelsole gefördert, die Sankt Peter-Ording im 20. Jahrhundert als Heilbad prädestinierte.
Entstanden ist die Dünentherme 1968 als „Meerwasserwellenbad“. Im Jahr 1997 wurde es für knapp 20 Millionen DM zum „Freizeitbad“ mutiert. Der Großumbau zur heutigen Gestalt fand von 2012 bis 2014 statt. Die Fläche wurde auf 3000 m² erweitert, Rutsche und Außenbecken kamen hinzu. Die Stadt und verschiedene Fördermittelgeber investierten 11 Millionen Euro.
Es entstanden neue Kabinen- und Sanitärbereiche für die Sauna, um die Konflikte mit den Schwimmbadbesuchern vermindern. Sie bauten eine neue Fensterfront am Wellenbecken, das sonst unverändert blieb. Rutschen entstanden und das Außenbecken wurde umfassend überarbeitet.
Nur das Wellenbecken wirkt weiterhin so, als wäre es 1968 entstanden. Was bei Schwimmbecken meist Gutes bedeutet.
Das nahe gelegene Hotel mit Direktzugang entstand 2007, ein neuer „Strand“-Bereich mit Seebrücke, neuen Plätzen et cetera. Als langjähriger Gelegenheitsbesucher des Orts bin ich nach 13 Jahren noch vom Gesamtkonzept angetan. Ehrlich gesagt, komme ich erst seit dem Umbau regelmäßig nach SPO.
Versyltung und Verschickungskinder
Eine Ortschronik eines Heimatvereins schreibt „2008: St. Peter wandelt sich zu einem Ort mit höheren Ansprüchen. 2012: St. Peter versyltet und ist fest in den Händen der Baulöwen und Makler.“
Erwähnen möchte ich, dass dieselbe Chronik die Kinderheimzeiten von Sankt Peter Ording im Nachhinein nahezu glorifiziert. Bis in die 1980er hinein bestanden in SPO verschiedene Kinderheime, in die allein reisende Kinder in Nordseekur geschickt wurden. Die Anpreisung dieser Aktionen ist angesichts der Verschickungskinder-Diskussion der letzten Jahre, schwierig. Um den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu den Verschickungskindern zu zitieren:
Systematik und Infrastruktur basierten großteils noch auf der Kinderlandverschickung (KLV), die schon während der Weimarer Republik und unter der Herrschaft der Nationalsozialisten bestanden hatte. […] Es erhielt sich in den Verschickungsheimen lange Zeit ein strenger, vereinzelt noch von der NS-Ideologie geprägter Umgang mit den Kindern. […] Dabei kam es auch zur Anwendung psychischer und körperlicher Gewalt. Zur Verschleierung der Umstände mussten viele Kinder vorgegebene Texte von einer Tafel auf Postkarten abschreiben, die dann an die Eltern nach Hause geschickt wurden.
Inwieweit die Heime in Sankt Peter-Ording hiervon genau betroffen waren, bedarf Recherche an anderer Stelle. Angesichts dessen, wie tief Altnazis über Jahrzehnte in Schleswig-Holstein verwurzelt waren, ahne ich Schlimmes.
Der Heimatverein wird sie sicher keine Aufklärung leisten. Und ich finde Erlebnis-Kurzurlaube und Versyltung plötzlich positiver als zuvor.
Gebäude
Die Dünentherme wohnt rechts des Übergangs zu Strand und Seebrücke in einem größeren Gebäudekomplex, den ich nur als schick beschreiben kann. Dort befinden sich ein Nationalpark-Raum, das Schwimmbad und der Wellnessbereich.
Wir hatten beim Besuch die Chance genutzt, uns bei Sturm und Sonnenschein auf der Seebrücke durchblasen lassen. Danach waren wir bereit, uns in warmes Wohlwasser zu stürzen.
Zur Kasse geht es eine Treppe hoch. Wir wurden ausgesprochen freundlich Corona-kontrolliert und bekamen ein Chip-Armband für Drehkreuz, Spinde und Gastronomie. Der Sanitärbereich stammt vermutlich von 2005, funktioniert ganz problemlos und vollkommen unspektakulär. Aus den Duschen heraus strebten wir auf das Wellenbecken zu.
Becken
In den Becken schwappt aufbereitetes Nordseewasser. Die Wasserfläche beträgt 1000 m². Leider führt das dazu, das Schwimmen – mit Kopf unter Wasser – ohne Schwimmbrille kaum möglich ist. Spätestens ab der zweiten Bahn schmerzten mir die Augen.
Größtes, ältestes Becken ist das Wellenbecken. Als solches ist es schwer schwimmbar. Denn an einem Ende ist es flach, am anderen Ende gibt es dank Wellenmaschine keine Wand. Aber es gibt einige tiefe Meter. Wäre das Becken ein Standardbecken, wäre es das übliche kommunale 25-Meter-Becken mit fünf bis sechs Bahnen.
So aber schlägt es Wellen. Meinem subjektiven Empfinden nach, bewegen die sich ausgeprägter als im Berliner Raum (wie in Kreuzberg oder Oranienburg), kommen aber keineswegs an das Gischt-Inferno im alten Büsumer Piratenbad heran. Für erwachsene Menschen bleiben die Wellen lahm.
Die Überlaufrinne liegt entsprechend tief. Das Wasser soll nicht über das Ufer rollen. Es schwimmt sich wie in einer Höhle.
Deutlich neuer ist das Attraktionsbecken mit den üblichen Attraktionen von Strömung bis Sprudelliegen. Erfreulicherweise ist es tief genug und ausreichend groß, um auch erwachsenen Menschen Freude zu bieten. Angesichts der Zielgruppe „genußfreudige Best Ager“, die sich die Therme gesetzt hat, sind zahlreiche Schwaderflächen vorgesehen. Die Whirlpools sind größer als bei Vergleichsbädern. Man lernt seine Mitbadenden nicht ganz so hautnah kennen wie sonst oft.
Highlight ist das Außenbecken inmitten der Dünen. Ich schätze 100 bis 150 m² Fläche – mit der besten Aussicht, dem besten Sound dem besten Geruch. Wir erfreuten uns und lauschten vorbeischwimmenden Damen.
Bis diese verschwanden. Kinder kamen. „Soll ich Helikopter machen?“, fragte der Junge in der roten Badehose. Und ehe seine Freunde „nein“ sagen konnten, fing er an, sich wild zu drehen, die Arme um sich zu werfen und in dieser Bewegung waagerecht in das Wasser zu rotieren. Der Helikopter spritzte.
Trotz all der Attraktionen im Attraktionsbecken – nichts ist spannender als Menschen.
Nicht-Becken
Für Menschen, die mehr innere Ruhe haben als ich, sind im Obergeschoss Liegestühle mit Aussicht auf Dünen, Salzwiesen und am Horizont die Nordsee. Oder ich nehme nächstes mal ein Buch mit. Das wäre eine Idee. Die in die Dünen gebaute Sauna bietet seit der Renovierung 2020 einen Ausblick über See und Landschaft. Aber Saunen interessieren dieses Blog auch sonst nicht.
Bemerkenswert ist der Wellnessbereich insofern, da hier die ortseigene Schwefelsole zum Einsatz kommt – Sankt Peter-Ording ist das einzige Seebad mit eigener Solequelle; und ebenso der Nordseeschlick, den die Sankt Peterer als Heilmittel verwenden.
Gastronomie
Leider servierte uns Gosch an der Seebrücke keinen Hummer Thermidor, den ich in Sankt-Peter-Ording-standesgemäß erwartet hatte. Die übliche Gastronomie ignorierten wir mehrfach. Vermutlich weil nicht weit entfernt heimgekochter frischer Fisch wartete.
Alternativen
Weniger atmosphärisch aber besser zum Schwimmen: die Dithmarscher Wasserwelt in Heide. Ähnlich, krassere Wellen, schlechtere Anlage und eh seit Jahren wegen Umbau geschlossen: das Piratenmeer in Büsum.
Und bei besserem Wetter locken zahlreiche Nordsee-Badestellen. Direkt in SPO oder etwas weniger trubelig in Vollerwiek oder Wesselburenerkoog.
Sowie natürich alle Bäder von der Poolhopping-Übersichtskarte (neuere Posts) oder der Poolhopping-Liste (ältere Posts).