Das langsame Herabrinnen der Schweißtropfen verwandelte sich in einen Strom. Vielleicht sollte ich aus der direkten Sonne gehen, mich in die Schattenplätze flüchten? Dort aber standen schon die Anderen. Es wirkte gedrängt. Und es war ja noch Seuche. Alles blieb kompliziert im Jahr 2021.

So also stand, schwitzte und wartete ich vor dem Sommerbad am Insulaner. Mein Plan, nach einem heißen, anstrengenden Montag, den Kopf ins Wasser zu stecken, die Kühle zu genießen und vor mich hinzupaddeln, war gescheitert: Schuld war eine Hinterlassenschaft aus anderen Katastrophenjahren. Die 1930er (ursächlich) und 1940er (auslösend) hatten uns in Berlin-Steglitz eine 250-Kilo-Weltkriegsbombe hinterlassen. Die war bei Bauarbeiten gefunden worden, musste entschärft werden und „mein“ Sommerbad lag im Sperrbezirk.

Ich wartete auf Madame, die gleich kommen sollte. Ich grummelte vor mich hin: „Liebe Berliner Bäder, wenn ihr mir schon nur Onlinetickets per E-Mail verkauft – wäre es zu viel verlangt, per E-Mail eine Nachricht zu schicken, dass das Bad überraschend geschlossen ist?“

Währenddessen fiel mein Blick auf ein heranrasendes Liegerad mit Fahne. Ich lächelte. Natürlich: Joe, der Mann der schneller radelte und schwamm als sein Schatten. Älter als die Spree und Jünger im Kopf als ein kleiner Hund. Oft schon hatte ich in BBB-Kleidung gesehen, oft dort wo es brannte. Ich summe Dotas Song „Bademeister*In“ vor mich hin:

Und du denkst, das könntest du selber
Du springst vom Zehner, er spränge vom Elfer
Um dich aus dem Wasser zu ziehen
Er ist halt ein Teil von einem krasseren Team

Aber ob er wirklich für die Berliner Bäder arbeitete oder sie für ihn? Es blieb sein Geheimnis. Aber nun, Katastrophen, Bomben, entrüstete Kleinkinder, enttäuschte Stammschwimmer*innen, kein Wunder, dass Joe kam. Er brauchte kein Bat-Signal, er ahnte es einfach so.

„Geh nach Hause, Dirk. Hier passiert nichts mehr.“, sagte er kurz in meine Richtung. „Schau doch Fußball-EM“. Ich antwortete: keine Lust, organisierter Profisport reizt mich nicht mehr. Vielleicht werde ich älter, vielleicht wird es schlimmer. Aber das Drumherum schreckt mich ab. Zuviel Geld, zuviel Funktionäre. Zuviel Bohei. „Aber wenigstens Schwimmen?“ Noch schlimmer. Ich begann zusammenzufassen, was ich kurz vorher gelesen hatte.

Outside

Das „Outside“ Magazine ist eine amerikanische Zeitschrift, die sich vor allem an Wanderer, Biker, Skifahrer und andere wendet. Neben den üblichen Artikeln zu Ausrüstung, Nachrichten aus der Szene, bringt es regelmäßig exzellente Longform-Artikel zu Hintergründen, Charakteren und besonderen Entwicklung in der Welt da draußen. Am bekanntesten war vielleicht der Text Into the Wild über den Zivilisationsflüchtling Christopher McCandless, der sich in Alaskas Wildnis in einem Bus einrichtet und dort schließlich zu Tode kommt. Der Artikel wurde Vorlage eines erfolgreichen Hollywoodfilms.

Freiwasserschwimmen ignorierte das Magazin bisher. Aber es wendete sich im April 2021 dem Becken zu. In The Plot to Kill the Olympics erzählt es die Geschichte, der International Swimming League, die antritt das Schwimmen aus dem Würgegriff von FINA und IOC zu retten. Mein Bild international Sportverbände war schlimm, aber die FINA übertrifft das locker.

The Plot to Kill the Olympics

Im dritten Absatz des Artikels taucht Putin und der Ex-KGB, wenig später Ramsan Kadyrow. der tschetschenische Putin-Buddy „bei dem Gewalt keine Drohung ist, sondern ein Versprechen.“ Milliardenwerte wechseln unter Gewalt den Besitzer. Die Wachsweichen Dopingsanktionen anderer Sportarten, die Russland aufgrund der letzten Skandale trafen, wurden im Schwimmen geflissentlich ignoriert. Selbst Sportlerinnen wie Yulia Efimova, die im Laufe ihrer Karriere mehrfach beim Doping ertappt wurden, können weiter starten.

Britische Sportfunktionäre berichten davon, dass es „very very very scary“ ist. Mehr als einmal dachte ich beim Lesen, ich sei in einem John-le-Carré-Roman gelandet. Nur mit mehr Gewalt.

FINA-Präsident ist seit 2021 Husain Al-Musallam, der selbst für die FIFA zu offensichtlich korrupt war. Ein Vizepräsident ist Tamas Gyárfás, gegen den Ermittlungen wegen Mordes an einem Geschäftspartner laufen. Ein anderer Vizepräsident begann seine Karriere unter Ceaucescu. Selbst in der unschönen Welt der Sportervbände scheint die FINA eine Sonderstellung einzunehmen. Selbst Stars des Schwimmsports wie der zweifache Olympiasieger und dreizehnfache Weltmeister Caeleb Dressel halten sich zurück, irgendetwas zu sagen, was gegen die FINA gedeutetwerden können.

Und – zusammen mit der IAAF dem Leichtathletikverband – hat die FINA eine Kontrolle über ihren Sport wie kein anderer Sportverband mehr. Ihr Bestreben ist es, nichts zu verändern und das Geld am laufen zu halten. Deshalb, und das ist selbst mir als abstinentem Fernsehzuschauer aufgefallen, fallen Schwimmen und Leichtathletik in ihrer Bedeutung als Zuschauersport immer weiter zurück. Sporarten, die von großen Teilen der Menschheit praktisch ausgeübt werden , fallen in die Irrelevanz.

Die ISL

Gegenstück im Artikel ist die International Swimming League, mit/bei/durch Konstantin Grigorishin. Der ist ukrainischer (Ex?)-Milliardär, Mäzen und Unterstützer liberaler Parteien. Außerdem Sportfan, und der Meinung, dass der Schwimmsport Potenzial als Zuschauersport hat. Seine International Swimming League orientiert sich an internationalen Profiligen anderer Sportarten. Sehr zum Unbillen von FINA und deren besten Freunden im Kreml.

Der Artikel in Outside geht meines Erachtens zu freundlich mit Grigorishin und der ISL um. Aber als Einblick in die Strukturen eines von mir geliebten Sports spannend. Und selbst für mich shocking.

Alex Perry: The Plot to Kill the Olympics. Outside Magazine, 19. April 2021.

Beitragsbild: Siegerehrung bei der Schwimm-WM 2017. Lilly King gewann 2017 die Schwimm-WM über 100 Meter Brust, unter anderem gegen die wegen Dopings gesperrt und unter fragwürdigen Umständen doch zugelassene Yulia Efimova. King war mutiger als viel andere, sagte das laut, was viele dachten: bezeichnete ihren Sieg noch auf der Veranstaltung als „Sieg für den sauberen Sport“. Zwei Jahre später bei der nächsten WM wurde King nach einem weiteren gewonnen Endlauf unter einem reichlich offensichtlichen Vorwand disqualifiziert – die Goldmedaille fiel an Efimova. Bild bearbeitet (zugeschnitten) von: Budapest2017 fina world championships 100breaststroke Victory Ceremony Efimova (Russia) Meili (USA) King (USA) von ~~swimfreak~~ Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International