Schwimmgehen in Polen besteht aus fünf Schritten:
1) Auf Infobasen.pl suche man ein einladend aussehendes Schwimmbad.
2) Man warte, bis es dunkel wird.
3) Mit der Jakdojade-App suche man ein geeignetes Nahverkehrsmittel.
4) Man nehme Bus/Bahn. Sobald ein Einkaufszentrum zu sehen ist, steige man aus.
5) Nach etwa 15 Minuten Fußweg durch ein realsozialistisches Neubauviertel steht man vor dem Bad.
Es könnte sein, dass dieser Ablauf nicht universal ist – ich stellte den Ablaufplan auf, nachdem ich insgesamt drei polnische Bäder besucht habe.
Vielleicht hängt meine Ablaufinterpretation damit zu zusammen, wie und wann ich nach Polen komme. Es war immer im Winter. Tagsüber hatte ich Aufgaben, und ich suchte vom-Hotel-aus-erreichbare-Bäder. Aber über alle drei Schwimmbadbesuche in Polen erwies sich der Ablauf als identisch. Es könnte auch einen Zusammenhang mit den Bädern im Land haben.
Schwimmbad = Neubaugebiet
Für Ostberlin gilt die goldene Regel: „Kein Schwimmbad ohne 70/80er-Jahre Neubaugebiet.“ Diese Regel scheint auch in Polen zu gelten. Historische Bäder mit einem Baujahr vor 1960 entdeckte ich keine.
Die existierenden öffentlichen Bäder fallen in zwei Kategorien: (1) „Sportschwimmbad, gebaut zwischen 1960 und 1990 zusammen mit einem Neubaugebiet auf die grüne Wiese“ oder (2) „Spaßbad, gebaut nach 1990 zusammen mit einem Einkaufszentrum auf die grüne Wiese“. Ich mag die Kategorie (1a): Sportschwimmbäder im Neubaugebiet, abgerissen und an alter Stelle neu errichtet nach 1990.
In einem solchen Bad landeten wir in Posen.
Rataje
Die Pływalnia Miejska Rataje betrieben von POSiR (Poznańskie Ośrodki Sportu i Rekreacji) ist ein Hallenbad im Posener Stadtteil Rataje. In meiner bewährten Quelle Infobasen.pl zeichnete sich das Bad durch ansprechende Fotos aus, die Tatsache, dass es kein Spaßbad war und außerdem bequem an der Tramstrecke lag.
Posen ist mit 540.000 Einwohnern die fünfgrößte Stadt Polens. (Man denke in Größenordnungen wie Leipzig, Hannover, Bremen, Dresden) Zudem ist sie die westlichste polnische Großstadt – zwischen Posen und der deutschen Grenze liegen im Wesentlichen Äcker und Wiesen.
Oder anders gesagt: Von Berlin aus, ist Posen die erste „richtige“ Stadt, die mit dem Zug erreichbar ist. Was ein starker Grund für unseren Besuch war. Dass es eine ausnehmend nette Stadt ist, erwies sich während unseres Aufenthaltes.
Berühmt ist Posen für die Altstadt und den Renaissance-Marktplatz, der jede holländischen Postkarte schmücken würde. Dort schwammen wir nicht. Wir zogen zum Postrealsozialismus nach Rataje.
Der Stadtteil Rataje ist Teil der ehemaligen Nowe Miasto, der Posener Neustadt – und wer an Halle-Neustadt oder Leipzig-Grünau denkt, liegt nicht falsch. Aus kleinen Örtchen im Posener schuf die KP ein Industriegebiet mit umliegenden Hochauswohnsiedlungen.
In Posen scheint der Stadtteil vor allem bekannt zu sein für den Maltasee – einen 1952 geschaffenen künstlichen See und Erholungsgebiet am Rand des Stadtteils. Direkt im Stadtteil liegt der Rondo Rataje – ein Kreisverkehr der Superlative . An diesem befindet sich das größte Einkaufszentrum der Stadt.
Eine Tram-Station tiefer im Stadtteil liegt das Hallenbad. Wir nahmen die Tram über den Rondo hinaus und liefen durch dunkle Neubaugebietshäuser zum Schwimmbad.
Uns erwartete das Städtische Schwimmbad Rataje, beziehungsweise das Pływalnia Miejska Rataje. Im Netz hatte ich den Eindruck gewonnen: Das sah neu aus. Und es war neu.
Pływalnia Miejska Rataje
Das Städtische Schwimmbad Rataje wurde 2019 komplett neu gebaut. Architekten war das in Warschau ansässige Büro von ATJ Architekci (Die auch das Spaß/Wellnessbad am Maltasee (Termy Maltansky) gestalteten ebenso wie die Atlas Arena in Łódź.). Die Baukosten betrugen 23 Millionen Zloty.
Es ist Nachfolger eines kommunistischen Bades. Und es enthält das, was ich an einem städtischen Bad schätze:
Eine schöne, funktionale Architektur, einige geleinte Bahnen, höfliche Mitschwimmer*innen und ein kleines warmes Nichtschwimmerbad zum Aufwärmen. Die Kabinen, Sanitäreinrichtungen und Duschen waren einfach, aber solide und halt neu und top gepflegt.
Laut irgendwelcher Leute aus dem Internet war der Vorgängerbau nicht so empfehlenswert
Vorraum
Nachdem wir das Bad erreicht hatten, versuchten wir uns zwischen Umziehbereichen und Kassen zu orientieren. Soweit ich verstand, existiert ein kleines Café/Kiosk (schon geschlossen als wir kamen), ein kleiner Laden mit Schwimmbedarf (dito), eine Umkleide für Jacken und große Taschen vor der Kasse und die eigentliche Eintrittskasse.
Die junge Dame an der Kasse sprach gutes Englisch, hatte aber wenig Übung, zumindest wirkte sie unsicher. Es gelang uns, Karten zu kaufen. Dass wir hier hätten die Schuhe ausziehen müssen, übersahen wir beide – aber alle Anwesenden waren zu höflich/nett, uns darauf hinzuweisen.
Die Kabinen
Ich spürte Ostberlin-Vibes. Eine Sammelkabine mit einzelnen Spinden. Es gab wenige Einzelkabinen. Überraschend: das Packstation-System der Schränke. Ich hielt meinen Schlüssel, den ich beim Eintritt bekommen hatte, an ein zentrales Bedienfeld. Dann sprang ein Schrank auf und dieser war der meine. Ging mehrfach, aber nur mit diesem Schrank.
Ich verstand das Prinzip nur durch Glück (weil halt alle anderen Schränke verschlossen waren), eine Mitbadende, deren Namen ich nicht nennen will, hatte weniger Glück. Sie packte ihre Sachen in einen offen stehenden Schrank, verschloss diesen – und bedurfte nach dem Schwumm der Hilfe freundlicher Badmitarbeiterinnen, um wieder an ihre Sachen zu kommen.
Die Duschen: so solide, dass ich mich an nichts erinnere. Einzig der überraschende Wassergraben zwischen Sanitärbereich und Bad (ähnlich wie in deutschen Freibädern) brachte mich fast zum Stolpern und blieb insofern denkwürdig.
Schwimmbad
Standard. Sechs Bahnen mit je 25 Meter Länge. Die Wassertiefe merkte ich mir nicht, gehe aber von knapp zwei Metern aus – wie das heute halt so in neuen Bädern ist.
Die Schwimmer*innen, höflich, ordentlich. Soweit ich sehen konnte, war problemloses Schwimmen sowohl für Möchtegerntriathlonmeister als auch Treibholz problemlos möglich.
Besonders fiel uns das 50-Quadratmeter Nichtschwimmerbecken auf. Denn es war warm. Zu Zeiten in denen Berlin Gassparverordnung hatte und die Bäder auf 26 Grad heruntergekühlt waren.
Ich zweifelte kurz, ob ich das politisch okay finde. Dann beschloss ich, dass Posen und Polen keine Deutschen benötigen, die an ihrer Politik herumdeuteln, ich einfach Gast war und das Ganze genießen konnte,
Also – ich konnte genießen, nachdem der Baby-Schwimmkurs das Becken verlassen hatte. Überhaupt war die hohe Zahl der Kurse und Privatlehrer auffallend, die sich im Bad befanden.
Dabei sahen wir alles: Kinderschwimmen, Schwimmenlernen für Erwachsene. Und den Mensch, der in höhere Leistungsebenen entschwinden wollte. Seine Trainerin kommunizierte über ein Headset mit den Stöpseln in seinem Ohr. Ab und an gab es Kurzbesprechungen am Beckenrand.
Wie auf dem ganzen Posentrip zu bemerken: Die Zahl der Menschen, die etwas lernen wollen und bereit sind, dafür Privatlehrer/-coaches zu bezahlen, ist in Posen hoch.
Wir aber wollten nichts. Nach etwas Treibholzen und Planschen verließen wir das Bad. Die junge Dame an der Kasse mahnte an, dass wir ein Zeitticket gekauft und die Zeit überschritten hatten. Aber auch das ließ sich einfach klären.
Espresso
Kaffee tranken wir nicht. Denn das Café hatte geschlossen.
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