Wampiriada“ – warum nicht? Halloween näherte sich. Bestimmt auch in Polen. Aus Berlin gesehen liegen Südpolen und Transsilvanien quasi nebeneinander. Die Figur auf dem Wampiriada-Poster grinste mich freundlich an. „Wampiriada“ – warum nicht?

Ich stromerte durch eine Krakauer Schwimmbad-Eingangshalle, fühlte mich wie in einer Mischung aus Freizeitbad und dem Universitäts-Raum mit den ganzen Schwarzen Brettern für die Studierenden. Die Wampiriada warb beim Schwarzen Brett.

Neben Schwimmen sind auch Masaże möglich. sogar Hydromasaże, Gimnastika im Wasser, Billard oder Kegeln.

Trotz aller Gespräch mit DJ Hüpfburg, mein Polnisch war und ist nicht-existent. Aber ich erkannte das Logo von polnischem Roten Kreuz und deren Blutspendeservice. Vielleicht ging es bei der Wampiriada nicht gruselig zu, sondern medizinisch-geschäftig.

Langsam füllte sich mein Wortschaft der polnischen Sprache. Neben „Hot Dog“ für Ketwurst, „Tak“ für Ja, „Dziękuję“ für Danke, „Wodny“ für aquatisch, „Basen“ für Schwimmbecken und „trzy zero siedem“ für meine Zimmernummer, füllte ein sechster polnischer Ausdruck meinen Sprachschatz.

Ketwurst parisien. Polnische Werbung für „Hot Dog“ in Briocheteig,

Muße hatte ich, meinen Sprachkenntnissen nachzusinnieren. Denn ich hatte Zeit. Die Kassiererin war verschwunden. Sollte mein Schwimmbadbesuch hier scheitern?

Bus 139 – die Schwimmbadlinie

Ich hatte meinen Weg über den Campus der Akademia Górniczo-Hutnicza im. Stanisława Staszica w Krakowie, der Krakauer Wissenschaftlich-Technischen Universität „Stanisław Staszica“ gemacht. Hatte mich mit dem Bus der Linie 139 an den Fakultäten für Informatika und dem „Centrum Nautica“ vorbeifahren lassen.

Schwimmhalle. Spaßbecken. Schwimmhalle.

Während mich am Tag zuvor die Fahrt Richtung „Kombinat“ am Park Wodny, dem „Wasserpark“ abgeliefert hatte, war ich Richtung Innenstadt gefahren, auf zur Universität.

Um genauer zu sein, zu einer Universität. Je nach Zählung bietet Krakau 15 bis 40 Hochschulen aufm, mit 100.000 bis 200.000 Studierenden. Die traditionsreichste Uni ist die Uniwersytet Jagielloński, die Jagiellonen-Universität – mit ihrem Gründungsjahr 1364 nach der Prager Karls-Universität die zweitälteste Uni Mitteleuropas.

Darüber hinaus bietet Krakau mindestens eine Pädogische Hochschule, eine Wirtschaftshochschule und mindestens zwei Technische Universitäten. Die zutreffend so genannte Politechnika Krakowska von 1946 und eben die AGH, die Akademia Górniczo-Hutnicza, die Akademie für Berg- und Hüttenwesen. Diese hat sich nach ihrer Gründung durch den Österreich-Ungarischen (mit kleinen Gebieten in Polen) Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1913 zu einer vollständigen Technischen Universität mit 35.000 Studierenden gemausert.

Inmitten der Wohnheime

Basen AGH, das Bad zur technischen Universität, lag inmitten von Studentenwohnheimen, die schöne Namen wie Itaka, Maraton, Akropol oder Olímp trugen.

Das Areal entstammte offenbar realsozialistischer Herrlichkeit, musste sich hinter den Wohntürmen von Marzahn nicht verstecken. Allerdings war es anscheinend vor kurzer Zeit französischen Designern in die Hände gefallen. Wie ich inzwischen nachlas, betreibt die Uni selber keines der Wohnheime. Auch wenn alles im Areal so aussieht wie ein realsozialistischer-Regenbogentraum; alle diese Plattenwohntürme werden privat betrieben und an Studierende vermietet.

Der Krakauer Olimp neben dem Bad

Aber das interessierte mich alles nicht. Ich war gekommen, um zu schwimmen. Es war nichts mehr von realsozialistischer Herrlichkeit zu sehen. Das Bad und der Sportkomplex mit Sporthallen, Bowling und Pool waren neu. Laut Infobasen.pl im Jahr 2008 errichtet. Wie Krakau offensichtlich mehr als ein halbes Dutzend neuer Bäder bieten kann, die zumindest auf Fotos auch einladend aussehen.

Gleich nebenan. Wohnheim Maraton.

War es ein Uni-Bad? Ein privates Bad? Ich erfuhr es nicht.

Gekommen, um zu schwimmen

Für einen Deutschen ist die Krakauer Schwimmlandschaft unübersichtlich. Da gibt es den Park Wodny, ein offensichtliches privates Spaßbad. Und den YMCA, der halt so wie ist der YMCA weltweit. Andere Bäder gehören zu privaten Fitnessclubs oder Hotels – so weit so klar.

Und dann gibt es da noch ein Dutzend Bäder, die zur AGH, zur pädagischen Hochschule oder auch zu Grundschulen gehören. Alle öffentlich gegen – bezahlbaren – Eintritt zugänglich; teils mit Rutschen, Whirlpools und anderen Spaßgeräten jenseits der Daseinsfürsorge.

Schwimmhalle von außen

Werden die Bäder von den Unis und Schulen bezahlt? Betreibt sie jemand privat und lässt die Uni mitnutzen? Ist es doch der polnische Staat, der die Bäder finanziert? Fragen über Fragen in den Verwirrungen der postsozialistischen Gesellschaft, die ich nicht ergründen konnte.

„307 – Ketwurst – Danke“ brachte mich nicht weiter.

Ahnungslos führten mich meine Wege zum Berg- und Hüttenbad. Zwei Gründe trieben mich ausgerechnet in dieses Bad. Da war zum einen die polnische Schwimmbad-Website infobasen.pl, die unter anderem Ranglisten nach Städten anbot. Nun glaube ich zwar keiner Internet-Bewertung. Aber da ich willen- und planlos in die Metropole nahe der Karpaten gekommen war, brachte die Infobasen-Bewertung ein von mir gewünschtes Zufallselement ins Spiel.

Der Basen AGH war Schwimmbad Nummer 2 in Krakau nach dem Park Wodny, dem Wasserpark – aber zu diesem bei anderer Gelegenheit mehr. Was entscheidener war: Basen AGH ist das einzige Krakauer Bad, das über eine englische Website verfügt. So gastfreundlich wie Polen mir begegnete, mit dem Wortschatz „Ja, danke, Ketwurst, 307“ traute ich mich nur zögerlich in die fremde Fremde.

Der englischen Website entnahm ich nicht nur ein Bahnbelegungsplan, sondern auch den Hinweis, dass ich eine eng anliegende Badehose und Badekappe mitnehmen sollte:

  1. It is mandatory to use swimming caps and swimming suits:
  • women – two or one-piece swimsuit
  • men – swimming trunks or shorts with no pockets aligned to the body

Kappen und Shorts empfand ich als Qualitätskriterien. Spricht es doch eine deutliche Sprache, welches Publikum die AGH’ler erwarten. Dank des Italienaufenthaltes vor ein paar Jahren besitze ich sogar eine Badekappe.

Abgesehen von der englischen Website, kann Basen AGH sogar mit einem Yelp-Review auf Englisch aufwarten. Eine sehr empöre Dame aus Dublin beschwerte sich, dass ihr Mann mit Boxershorts des Beckens verwiesen wurde. Und ich dachte „Recht so. Das Bad wird mir immer sympathischer.“

Wo ist die Frau an der Kasse?

Anscheinend aber waren alle Vorbereitungen vergeblich gewesen. Die Frau an der Kasse war verschwunden. Sie trank weiter hinten im Foyer Kaffee. Der Pole vor mir in der Schlange, Typ schluffiger Hausmeister, der schon mit Badelatschen ins Bad gekommen war, nahm’s gelassen und wartete. Und ich betrachtete Blutspendeplakate.

Ich wandelte durchs Foyer. Entdeckte weitere englische Plakate zum Thema „Badekappe: Ja! – Boxershorts: Nein“, das kleine Café und den Badekleidungsverkaufsladen.

Weitere 10 Minuten später, kam die Dame zurück und verkaufte Karten. Sie entschuldigte sich mir gegenüber fünfmal, kein Englisch zu können, und erklärte in sehr passablem Englisch noch einmal die Badekappen-Boxershorts-Regel.

Jedes Schild hat eine Geschichte, jede wiederholte Erklärung hat mehrere Geschichten. Vor meinem inneren Auge sah ich Dutzende amerikanische Rohrspatzen in diesem Foyer hin- und herwüten, die sich einen Badebesuch ohne Boxershorts nicht vorstellen können. Aber ich war ja top vorbereitet, wusste alles und würde jede Situation souverän meistern.

Warten

Stolz betrachtete ich meinen Eintrittschip. Der Schluffi-Hausmeister vor mir stand weiterhin rum. Er machte keine Anstalten durch das Drehkreuz zwischen Foyer und Umkleiden zu gehen. Ich aber, frisch motiviert und top vorbereitet, strebte auf das Drehkreuz zu, hielt meinen Chip dagegen, schritt forschen Schrittes voran – und bekam einen Tiefschlag durch das unbewegt stehen bleibende Drehkreuz. Der körperliche Schmerz war erträglich, der getroffene Stolz war schlimmer.

Glücklicherweise wandte sich Herr Badelatsche mir zu und erklärte in feinstem Oxford-Englisch, dass das Bad sehr beliebt sei und deshalb eine Zugangsbegrenzung gelte. Innerlich entschuldigte ich mich für meine Fehleinschätzung der Person.

Jetzt verstand ich die Preisgebung des Bades. Für die ersten 70 Minuten (Abends, kein Uni-Bezug) 18 Złoty (etwa 4 Euro), danach aber ein Złoty für jede Minute – oder etwa 15 Euro für die zweite Stunde. Es geht um Durchsatz und eine faire Verteilung der Schwimmzeiten.

Jeder soll rutschen dürfen

Ein weiterer Badegast, Typ hipper Jungvater, erklärte mir auch in Oxford-Englisch den Bahnbelegungsplan. Wir müssten erst warten, bis genügend Menschen das Bad wieder verlassen hätte.

Modus Packstation

Umkleiden schaffen es auch nach knapp 100 verschiedenen besuchten Bädern, mich zu überraschen. Diesmal: eine neue Sammelumkleide mit wenigen Wechselumkleiden. Die Spinde funktionierten nach dem Prinzip Packstation. Ich hielt mein Chiparmband an ein zentrales Lesegerät. Wenige Meter weiter poppte eine Tür auf.

Das Bad blieb sich in seinem Balanceact aus schnödem Sportbad und modernen Ansprüchen treu. Die Duschen, wie üblich in Polen mit Shampoospendern an der Bad und – wie üblich außerhalb Deutschlands – mit Badehosentragpflicht.

Meine Beobachtung aus zwei Schwimmbadbesuchen sagt, dass in Polen anscheinend die Handtücher in der Kabine bleiben. Dafür werden die Badelatschen an den spannendsten Orten gelagert. Und das, obwohl die Schwimmbadordnung vorschreibt:

  1. Entering the swimming area is possible barefoot only.
  2. Prior to entering the swimming area it is mandatory to disinfect feet by walking through “nogomyja”.

Drei Becken

Die Halle sah im Innern genauso schick aus wie von Außen. Ein geschwungenes Holzdach, Tribüne, selbst bei Dunkelheit draußen wirkte es luftig und lichtdurchflutet.

Drei Becken. Ein echtes normales Schwimmbecken: Sechs Bahnen, 140cm bis 200cm tief. Alle Bahnen geleint. Das Publikum war wie zu erwarten. Ich musste mich erheblich sputen, um nicht allzu negativ aufzufallen.

Ein Attraktionsbecken – tecrezia – mit großer Rutsche, flach, warm, perfekt zum Entspannen nach dem Schwimmen. Ein vollbesetzter Whirlpool. Und ein weiteres Schwimmbecken. 18 Meter lang, anscheinend für Kurse.

Für mich ein gelungener Balanceakt. Schwimmen, Schwadern, Rutschen, ein Bad, das Modernität signalisiert und doch bei den Basics bleibt; das versteht, dass auch Schwimmer eine nette Zeit haben wollen. Und das doch nicht vor lauter Angst vor seinen verwöhnten Nutzern nur noch Spaß baut.

Schwimmbadreinigungsporn aus dem Basen AGH

Ich recherchierte für den nächsten Aufenthalt bereits Hotels in der Nähe. Nur zur Gastronomie kann ich nichts sagen. Ich hatte ein Date mit Holzfeuer-Kielbasa neben dem Blauen Nysa.

Weiteres

Eine Überblickskarte der neuen Schwimmbad-Artikel (ab 2021) ist in diesem Blog.

Alles Schwimmbadbesuche bis 2020 stehen in der Liste.