Dr. Fieselschweif vermisste die Aquagymnastik. Auf der Schwimmnudel herumreiten. Die Arme kreisen lassen. Strampeln im lauwarmen Wasser, zusammen mit den bezaubernsten Damen 70 plus. Auf alles das musste er in den letzten Monaten verzichten. Sehnsuchtsvoll konnte er das Stadtbad Charlottenburg / Alte Halle nur von außen anhimmeln.

Dr. Fieselschweif schlich durch die winterliche Krumme Straße und betrachtete die Fassade. Keine Schwimmgürtel, keine Wasserhanteln. Weit entfern schien der glorreiche Tag, als der gesamte Kurs sich auf die Beboards zum Aquayoga wagte. Der Moment als Annemarie auf einem Bein balancierte. Vorbei.

Abgeschlossen, zugesperrt, auf unbestimmte Zeit. Alles was Dr. Fieselschweif blieb, war es Fotos für die Wikipedia zu machen. Dr. Fieselschweif liebte es, Fotos von alten Berliner Gebäuden anzufertigen und auf die Wikipedia zu laden.

Hier aber, am Ort des Lachens, und Schwimmnudelns, lag es ihm außerordentlich am Herzen. Mehrfach im Monat lief er vorbei, schimpfte über die enge Straße und den hohen Bau, die das Fotografieren erschwerten. So kam ihm die Idee. Diese Fotos mussten gewürdigt werden, mussten auf die Hauptseite der Wikipedia.

So kam ich ins Spiel. Ich bekam eine Mail „southpark, willst Du nicht wieder am Wikipedia-Schreibwettbewerb teilnehmen? Wenn Du gut abschneidest, wird der Artikel ein ‚Artikel des Tages‘ und meine Fotos sind auf der Hauptseite.“ Ich: „Nö, zuviele verkrampfte Menschen beim Schreibwettbewerb, die sich selbst zu wichtig nehmen. Macht mir keinen Spaß derzeit.“ Fieselschweif: „Aber Du könntest über Schwimmbäder schreiben. Und am Ende auf der Hauptseite landen.“ Ich: „Hm.“ Fieselschweif: „Außerdem habe ich schon Material gesammelt. Die Digitale Landesbibliothek Berlin digitalisierte schöne Sachen.“

Kurze Zeit später fand ich einen Link in meinem Posteingang: https://digital.zlb.de/viewer/image/16318741_1898_1899/106/

Ich folgte dem Link zur digitalen Bibliothek. Fand dort den Scan des Charlottenburger Verwaltungsberichts aus dem Jahre 1900. Bibliographisch korrekt:

Urheber: Charlottenburg

Titel: Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Charlottenburg. Ausgabe 1898/1899 / bearbeitet im Statistischen Amt

Erschienen: Charlottenburg, 1900

Digitalisierung: Berlin: Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 2017

URN: urn:nbn:de:kobv:109-1-10473567

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Und ich las, war angetan. Alles was ich schon immer über die Frühgeschichte des Alten Stadtbads Charlottenburg wissen wollte.

Das Bad ist mittlerweile das älteste offene Bads Berlin, also wenn es offen ist. Die alte Halle, in all‘ ihrer Glorie des Jahres 1898, steht neben der Neuen Halle aus den 1970ern. Die Alte Halle mit ihrem kleineren Becken ist zum Warmwasserbecken mutiert, in dem gerne Senioren- oder Babyschwimmen stattfindet. Die Renovierungen der letzten Jahrzehnte haben ihr nicht aufgeholfen. Aber weiterhin ist sie ein schönes Bad, begehrt bei Filmaufnahmen und für die PR der Berliner Bäderbetriebe.

Darüber hinaus vergisst man gerne, dass diese Bad einst modern war, modernster Stand der Hygiene und ein Sportbad aus dem Schwimmsportler aus ganz Berlin im Winter pilgerten. Auch wenn ein Verwaltungsbericht naturgemäß wenig enthusiastisch ist, so vermag er doch den Stand des Bades gut zu vermitteln.

Wie es das Stadtbad Charlottenburg im Jahr 1900 aussah:


Die städtische Volksbadeanstalt

Bau und Einrichtung.

Der Bau der Volksbadeanstalt wurde Anfang November 1896 in Angriff genommen und, obgleich die Bauarbeiten von Mitte Dezember bis Anfang April 1807 des eingetretenen Frostes wegen ein gestellt werden mußten, so gefördert, daß die Anstalt am 1. Juli 1898 in Betrieb gesetzt werden konnte. Die Gesamtbaukosten einschl. aller Nebenauslagen und der inneren Einrichtung, jedoch aus schließlich der auf etwa 182 000 Mk. zu veranschlagenden Grunderwerbskosten stellten sich auf 408 870,97Mk. Nach der Spezialbauabrechnung setzten sich dieselben wie folgt zusammen:

Erdarbeiten
Maurerarbeiten
Maurermaterialien
Asphaltarbeiten
Steinmetzarbeiten
Zimmerarbeiten
Staakerarbeiten
Schmiede- u. Eisenarbeiten
Dachdeckerarbeiten
Klempnerarbeiten
Tischlerarbeiten
Schlosserarbeiten
Glaserarbeiten
Malerarbeiten
Stuckarbeiten
Heizungsanlage
Beleuchtungsanlage
Insgemein
Umwährungen
Regulirung u. Pflaster
Möbel und Geräthe
Bauführungskosten

3 939,71 Mk
61 046,88
53 589,27
402,01
3 012,64
8 050,82
886,17
37 557,28
3 470,99
6 610,10
10 548,98
14 652,28
7 539,23
7 545,96
. —
137 840,41
6 834,9
18 287,29
941,17
2 707,09
14131,10
10276,70

Zusammen 408 870,97 Mk.

Grunderwerb . . . . 122 800 Mk.

Grundriss des Bades. Krumme Straße und Eingang liegen am unteren Bildrand. aus: Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Charlottenburg. Ausgabe 1898/1899 / bearbeitet im Statistischen Amt Digitalisierung: Berlin: Zentral- und Landesbibliothek Berlin, 2017

Die Anlage zerfällt in drei größere. in sich geschlossenene Theile, die sämtlich directen Zugang von der Krummen Straße aus haben und zwar:

Das Frauenbad.

Das Frauenbad enthält im Erdgeschoß unmittelbar am Eingänge den Kassenraum sowie zwei Billetschaller und daneben 11 Brausezellen. Im ersten Stock sind 12 Wannenbäder und ein Raum für die Wärterin, im zweiten Stock die Wohnung für den Maschinenmeister untergebracht.

Das Männerbad.

Das Männerbad ist ähnlich eingerichtet und zwar sind im Erdgeschoß gleichfalls die Brausezellen 12 an der Zahl angeordnet und des stärkeren Besuchs wegen beide Obergeschosse mit insgesammt 26 Wannenzellen ausgestattet. Zwischen Männer- und Frauenbad befindet sich im Erdgeschoß die gemeinschaftliche Wartezelle mit anschließendem kleinen Gärtchen zur Benutzung durch die Wartenden.

Das Schwimmbad.

Das Schwimmbad enthält ein Bassin von 10:24 m im Lichten. Die Tiefenabmessungen wechseln zwischen 0,75 und 3,40 m dergestalt, daß ohne die Benutzung des Bassins für den Tiefsprung einzuschränken, der Wasserinhalt aus ökonomischen Rücksichten auf das Mindestmaß beschränkt ist. Zu beiden Längsseiten des Bassins sind 36 Auskleidehallen angeordnet. Drei Treppen in den Ecken der Halle führen nach den Gallerien, auf denen noch 64 Auskleideschränke für Kinder vorgesehen sind.

An den Kopfenden der Halle befinden sich die Abseifräume und zwar am Nordende der für Erwachsene, am Südende neben dem Raum für das Wartepersonal der für Kinder.
Im Niveau des Kellergeschosses liegen die gesammten Betriebsanlagen, Kesselhaus, Maschinenhaus und Dampfwäscherei. Letztere besteht aus dem eigentlichen Waschraum und dem Trockenraum mit Trockenapparat und Dampfmangel. Ein kleiner Nebenraum für die gereinigte Wäsche dient gleichzeitig als Flickstube.

Die weiteren Einzelheiten der Bauanlage sind aus den beigegebenen drei Abbildungen ersichtlich.

Während bei den Betriebsanlagen hoch gespannter Dampf Verwendung findet, erfolgt die Heizung der Anlage mittelst reducierten Dampfes. Die Lüftung geschieht durch einen Schraubenventilator, der durch eine besondere Dampfmaschine in Bewegung gesetzt wird.

Die Anstalt besitzt 2 engröhrige Siederohrkessel mit cylindrischem, horizontal liegendem Oberkessel (System Gehre) aus der Rather Röhrenkesselfabrik, aufgestellt von der Firma Pflaum & Gerlach in Berlin. Diese Kessel sind auf eine höchste Dampfspannung von 10 Atmosphären Ueberdruck concessionirt, jedoch nur mit Sicherheitsventilen versehen, deren Belastung einer Dampfspannung von 8 Atm. Ueberdruck entspricht. Die Feuerung erfolgt mit Cokes, welcher ausschließlich aus der städtischen Gasanstalt bezogen wird. Bei den Betriebsanlagen findet hochgespannter Dampf Verwendung, die Heizung der Anlage erfolgt mittelst reducirten Dampfes.

Die Anstalt wird durch eine eigene Wasserförderungsanlage mit Wasser versorgt, bei welcher besonders hervorzuheben ist, daß hier zum ersten Riale ohne eine besondere Enteisenungsanlage und ohne Verwendung von Wasser aus der Straßenleitung, ein vollkommen eisenfreies Wasser durch eine besondere Art der Ausfüllung der Brunnen mit dem in der Anstalt gereinigten Wasser gewonnen wird. Es ist das auf solche Art geförderte Brunnenwasser nicht nur von außergewöhnlicher und dauernder Klarheit, sondern es sind auch die Ersparnisse, welche durch den Fortfall der Entnahme von Wasser aus den einer Aktiengesellschaft gehörigen Charlottenburger Wasserwerken bezw. besonderer Enteisenungsanlagen und ihrer kostspieligen Bedienung erzielt werden, sehr bedeutende.

Die Leerung. Reinigung und Wiederfüllung des Schwimmbassins findet regelmäßig jeden Montag und Freitag Abend statt. An den übrigen Tagen werden dem Bassin Wassermengen von 150—350 cbm nachgefüllt, sodaß ein beständiger Ab- und Zufluß vorhanden ist. Während der heißen Jahreszeit ist eine wöchentliche dreimalige Erneuerung des Wassers vorgesehen.

Die Beleuchtung der Anstalt erfolgt mittelst Gasglühlicht.

An 132 männl. und 42 weib. Ortsarme wurden aus Anordnung eines Stadtarztes Bäder unentgeltlich verabfolgt.

Die Schwimmhalle ist für weibliche Personen nur an den Werktagen Vormittags 9½ bis 12, Montags und Sonnabends Nachmittags 2 bis 4 Uhr, Dienstags bis Freitags 2 bis 5 Uhr, Montags auch Abends von 6½ bis 9 Uhr geöffnet.

Die Anstalt wird geöffnet: im April bis September Morgens 6 Uhr, im März und Oktober Morgens 7 Uhr, im November bis Februar 7½ Uhr.

Kassenschluß: Sonnabends: 9 Uhr Abends, an den übrigen Werktagen 8 Uhr Abends (für die Schwimmhalle jedoch Montags 8½ Uhr Abends), Sonntags: April bis September 12 Uhr Mittags, Oktober bis März 1 Uhr Nachmittags.

Foto der Schwimmhalle, Städtisches Volksbad Charlottenburg von der Galerie aus. Die Schwimmhalle ist leer, der Blick geht längs in Richtung Fenster.
Zeitgenössisches der Schwimmhalle, Foto von Bruno Brügner aus dem Verwaltungsbericht

Die Benutzungsdauer des Schwimmbades beträgt 1 Stunde, eines Wannenbades 30 und.eines Brausebades 20 Minuten. Personen, welche nachweislich mit einer Krankheit, insbesondere auch mit offenen Wunden oder einem Ausschlage behaftet sind, gleichviel ob eine Ansteckungsgefahr vorliegt oder nicht, ist die Benutzung des Schwimmbades nicht gestattet.

Der Besuch der Anstalt war fortgesetzt, insbesondere während der wärmeren Jahreszeit ein äußerst reger. Den Höhepunkt erreichte derselbe während des Berichtsjahres am 13. August 1898 mit 634 Wannenbädern, 348 Brausebädern und 1534 Schwimmbädern.

Von den Wochentagen zeichnet sich der Sonnabend durch hohe Besuchszahlen aus: bevorzugt werden von den Badenden außerdem noch der Sonntag und der Freitag. Die überwiegende Mehrzahl der Besucher sind männlichen Geschlechts. Das Nähere ergiebt die nebenstehende Uebersicht. […]

Personal der Anstalt und Monatsgehalt. 1 Verwalter im Nebenamt 75, 1 Maschinenmeister (Wohnung Heizung) 140, 2 Heizern je 100, 1 Bademeister und Schwimmlehrer 100, 1 Bademeisterin, Schwimmlehrerin 75, 3 Badewärter je 90, 3 Badewärterinnen je 60, 2 Kassirerinnen je 60, 1 Wäscherin 60 ,

2 Knaben 1 Mädchen als Schließer der Auskleidezellen in der Schwimmhalle mit stundenweiser Vergütung von je 10 Pf.

Der Bademeister und die Bademeisterin erhalten außer ihrem Lohn noch die Hälfte des Schwimmlehrergeldes für die durch sie ausgebildeten Schwimmschüler. Bei besonders starkem Verkehr mußten neben dem ständigen Personal noch Hilfskräfte (Wäscherinnen, Badewärterinnen u. s. w.) eingestellt werden.

Die Preise der Bäder waren folgende: Wannenbäder 25 Pf. dazu Seife und ein Handtuch, 2 Kinder für ein gemeinsames Bad 25 Pfennige, in Begleitung von Frauen 10 Pf. mehr, Brausebad 10 Pfg. dazu Seife und ein Handtuch, für Frauen eine Badekappe. Schwimmbad 20 Pf. pro Person über 14 Jahre, 10 Pf. für jüngere Personen, Abonnement monatlich 4,50 bezw 2,50 Mk. Schwimmlehrgeld 5 Mk. bez. 4 Mk. vierteljährlich.

Im Schwimmbad sind für die einmalige Benutzung von einem Handtuch, einer Badehose, einer Badekappe je 5, eines Badeanzuges für Frauen 20, eines Badelakens 15 Pf. zu zahlen. Aufbewahrung und Trocknen von je 2 Stück Privatwäsche kostet monatlich 0,75, vierteljährlich 2 M.

Die Einnahmen betrugen 30 035,02 M, darunter 26 850,90 M für Bäder. Unter den sonstigen Einnahmen sind hervorzuheben: 1275 M Schwimmlehrergeld, 1747,20 M für Wäscheverleihung, 33,75 M für verkaufte Seife und 32,65 M antheiligen Erlös einer durch einen Privatunternehmer aufgestellten automatischen Personenwaage.

Die Ausgaben beliefen sich aus
Davon laufende Ausgaben.
Löhne des Personals und der Hilfskräfte
Krankenkassen- u. s. w. Beiträge
Brennmaterial
Beleuchtung
Wasserverbrauch
Druckkosten für Badekarten
Unterh. d. Gebäude, Maschinen u.
Reinig der Schornsteine, Kesselzüge
Badeseife, Materialien zur Reinigung Unterhaltung des sonstigen Inventars
Ersatz des Abgangs an Badewäsche
Kanalisationsgebühr
Reinigung der Oberlichtfenster
Insgemein (darunter 632,60 antheiliges Schwimmlehrgeld für die Schwimmlehrer)

Ins. laufende Ausgaben

Für eine Wendeltreppe u. a. m.

Summe wie oben

32 760,99 M.

12184,79
156,85
13435,30
1 193,69
627,80
285,90
1 366,82
56,00
107,92
203,04
88,90
494,87
7,25
771,72

31 980,85

. 780,14

32 760,99 ,4

Die Stadtgemeinde ist hinsichtlich der Kessel der Volksbadeanstalt dem Dampfkesselrevisions-Verein Berlin als Mitglied beigetreten. Der Anstaltsbetrieb ist bestimmungsgemäß bei der Nahrungsmittel- Industrie – Berufsgenossenschaft in Mannheim angemeldet, welche für etwaige Betriebsunfälle des Personals Entschädigung zu leisten hat.

Alles in Allem läßt sich erkennen, daß die Errichtung der Badeanstalt bei den völlig unzulänglichen natürlichen Badegelegenheiten Charlottenburgs einem dringenden Bedürfniß entsprochen hat. Die Anstalt erfreut sich nicht allein bei dem weniger Bemittelten, sondern auch bei den wohlhabenden Klassen großer Beliebtheit. Die Eintrittspreise sind ohne Rücksicht auf die Rentabilität des Anlagekapitals so bemessen, daß einem Jeden die regelmäßige Benutzung der Anstalt möglich ist.

Nachtrag

Wie ich der „Geschichte der Stadt Charlottenburg“ aus dem Jahre 1905 entnahm, war das Bad so beliebt, dass sich die Einnahmen und Ausgaben binnen weniger Jahre verdoppelten. Zum aktuellen Stand schrieb ich nebenan.

Schöner und optisch ansprechender ist es natürlich das Video von Uta Bräuer von ihrem Youtube-Kanal anzuschauen: